Im zweiten Teil der Kommunikationsfolge sprechen Alex und Paula darüber, warum Vergleiche bei Krebs nicht immer guttun, wo Grenzen gesetzt werden sollten und wie wichtig es ist, um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen.
(EM-93152)
(00:00 – 01:20) Anmoderation der Folge
(01:20 – 02:30) Warum viele Betroffene ihre Gefühle nicht ernstnehmen
(02:30 – 09:13) Alles wieder gut? Der Druck auf Krebsbetroffene und toxische Vergleiche
(09:13 – 11:12) Austausch unter Betroffenen – wie holt man das Beste raus?
(11:13 – 15:53) Wie Körpergefühl, Wahrnehmung und Wissen die Kommunikation beeinflussen
(15:53 – 17:32) Unter Freundinnen reden
(17:33 – 20:10) „Übung macht den Meister“: Tipps für eine gelungene Kommunikation
(20:10 – 25:09) Knackpunkt: Um Hilfe bitten und Hilfe annehmen
(25:10 – 26:14) Abmoderation und Verabschiedung
Lars [00:00:00] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn Sie persönliche Geschichten aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen für Betroffene. Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer, liebe Podcast-Fans, es ist wieder soweit. Heute gibt's den zweiten Teil unserer Folge zum Thema Kommunikation während und nach einer Krebserkrankung und ich begrüße dazu die beiden Brustkrebs-Podcasterinnen Alex und Paula, die schon bei der letzten Folge mit dabei waren. Schön, dass ihr wieder mit dabei seid. Hallo.
Paula [00:00:45] Hi, vielen Dank.
Alex [00:00:47] Ja, schön, dass wir wieder da sein dürfen.
Lars [00:00:49] Sehr gerne. In der letzten Folge haben wir darüber gesprochen, wie wichtig eine gute Kommunikation mit Krebs ist und über die Schwierigkeiten, die es dort gibt. Und mir ging es so, dass ich mich bei vielen Themen als Angehöriger oder auch Außenstehender wiedererkannt habe und ich denke, so geht's auch vielen Zuhörern und Zuhörerinnen. Und deswegen würde ich gerne mit unserem Fazit aus der letzten Folge wieder einsteigen und zwar ich sagte: „Nur wer seine Bedürfnisse gut kennt, der kann erfolgreich kommunizieren.“
Lars [00:01:20] Und jetzt frag ich dich, Alex: Warum glaubt ihr nehmen so viele Betroffene ihre eigenen Gefühle unter Umständen nicht ernst? Oder spielen sie runter? Was meinst du?
Alex [00:01:30] Ich glaube, wir sind auch letztes Mal darauf eingegangen, dass jeder Mensch anders ist. Und man muss sich natürlich nach so einer Diagnose und während und nach einer Therapie erst mal sich selbst auch neu finden. Das heißt, wenn ich natürlich anfange, mich zu vergleichen, wie ich früher war, dann kann ich natürlich nicht sagen: Meine Bedürfnisse sind die und die, weil es war ja immer so. Sondern ich muss erstmal ganz neu in mich reinhören und schauen, wer bin ich eigentlich jetzt und was sind jetzt meine Bedürfnisse. Und natürlich ist es auch so, wenn ich dann anfange, mich zu vergleichen mit meinem alten Ich oder vielleicht auch mit anderen Krebspatienten, dass das überhaupt nicht gut ist. Also ich muss es wirklich versuchen, also in meinem Fall war das so. Also ich tu so, als hätte ich es raus, aber das habe ich wirklich nicht. Sondern es ist ein täglicher Kampf, dass man sich immer wieder darauf besinnt: „Was ist jetzt gerade meine Situation? Wofür reicht gerade meine Kraft und was sind jetzt meine Bedürfnisse?“ Ich glaub, das ist ganz wichtig. Im Hier und Jetzt zu sein.
Lars [00:02:29] Und entsteht da so ein Druck? Also durch dieses Vergleichen?
Alex [00:02:34] Ja, ich glaube, es ist nicht nur das Vergleichen, sondern es ist eben auch von außen vielleicht ein bisschen der Druck. Also normalerweise ist es so, am Ende der Therapie deine Haare sind wieder da, du kommst zurück ins Büro und alle sagen: „Ja super, ist alles wieder gut, ne? Toll, du siehst auch super aus.“ Und es ist aber überhaupt nicht alles so wie vorher. Und das ist aber so ein bisschen die Erwartungshaltung. Jetzt ist ja alles wieder gut. Jetzt können wir den Krebs vergessen und jetzt machen wir genau da weiter, wo wir aufgehört haben. Aber ich bin nicht mehr die Gleiche, wie ich das vor dem Krebs war. Und mein Körper ist auch nicht mehr der gleiche und der kann auch nicht das Gleiche. Das heißt, es ist nicht nur von mir der Druck, den ich mir setze. Das kann natürlich auch sein, dass ich sage, ich möchte wieder genauso sein, ich möchte alles wieder wie vorher haben. Sondern eben auch das Umfeld, das denkt: „Wieso? Ist doch alles wieder gut. Hat doch wieder Haare. Ist doch wieder gesund.“
Lars [00:03:20] Paula, wie war das bei dir? Hast du sowas mitbekommen in dieser Zeit?
Paula [00:03:24] Ja, also ich würde, glaub ich, noch mal früher ansetzen, nämlich bei mir selbst. Ich glaub, ich habe auch häufig nicht die richtigen Signale gesendet. Also da gibt es auch schon dieses: „Was ist jetzt eigentlich mein Bedürfnis?“ Also man hat ja keinen Leitfaden in der Hand Auto-Krisenbewältigen oder so. Bei mir war es so meine Überlebensstrategie im Prinzip also dieser Wechsel aus freiem Fall, also mit Bekanntgabe der Diagnose in so einen „Kampfsau-Modus“ zu gehen, also im Prinzip diese Selbstkontrolle über die Krankheit zu erreichen. Und ich glaube, ich habe an mein Umfeld auch häufig die falschen Signale gesendet, weil ich selber glauben wollte, dass ich stark bin und dass mir niemand die Butter vom Brot nehmen kann. Und weil ich häufig auch Angst hatte, meine größten Ängste, nämlich diese Erkrankung nicht zu überleben, meinen nahen Angehörigen vor die Füße zu werfen. Daher habe ich ganz oft so ein Superheldencape angezogen und bin erhobenen Hauptes durchgegangen. Und auf der anderen Seite gefühlt habe ich mich natürlich ganz anders. Gefühlt habe ich mich verletzlich. Gefühlt habe ich mich bisschen gebeutelt auch. Also es ist ja auch körperlich anstrengend so eine Diagnose. Aber hinausgegangen bin ich erhobenen Hauptes häufig ohne Perücke, nicht weil ich mich in Glatze so schön fand, sondern weil ich zeigen wollte, dass ich nicht schuld bin an dieser Erkrankung, die mir da gerade passiert ist. Und das steht natürlich im Widerspruch und die Frage ist natürlich, wie kann ich denn Hilfe und Trost und die haltende Hand erwarten, wenn ich selbst nach außen signalisiere: „Ey Leute, ich pack das alles schon irgendwie. Ich habe das hier alles unter Kontrolle. Wir gehen hier Schritt für Schritt und wir machen das.“ Und ich glaube, das ist sehr, sehr schwierig hinter die eigene Fassade zu gucken und das meine ich gar nicht abwertend mit einer Maskierung oder so, sondern tatsächlich mit so einer Überlebensstrategie und die zu durchschauen erstmal bei sich selbst ist schon schwierig und das von anderen zu erwarten ist auch schwierig. Also man reagiert nicht so nach dem Bedürfnis, dass man erwartet, vom anderen erfüllt zu werden. Ich hoffe, ihr könnt mir noch folgen. Also man reagiert ja häufig mit Rückzug, oder sagt nicht die Angst, die man eigentlich verspürt. Und das ist eben auch ein ganz großer Nährboden für kommunikative Missverständnisse, die ja im Grunde dann als Eckpfeiler einer zwischenmenschlichen Beziehung ganz schön anlagen. Also das ist schon eine große Herausforderung hier.
Lars [00:05:52] Ist dir das in der Zeit dann immer besser gelungen? Oder sagst du, du hast dich da auch ein bisschen selbst vergraben?
Paula [00:05:56] Ich habe mich häufig zurückgezogen, weil ich irgendwann gemerkt habe, ich bin nicht die erhobenen Hauptes. Ich kann da gar nicht erhobenen Hauptes durchgehen. Also bei mir sind ja auch viele Behandlungen nicht angeschlagen und je öfter ich schlechte Nachrichten mit meiner Familie teilen musste und besonders mit meinem Kind oder mit meinen Großeltern oder mit meinen Eltern, desto mehr hat das in mir selber gebröckelt, also auch mit Freunden. Ja, also wer sitzt schon gerne da und sagt: „Das hat wieder nicht gewirkt. Also sie versuchen jetzt was Neues.“ oder „Die Aussicht sieht nicht mehr so gut aus.“ oder „Lass uns doch noch mal ein schönes Weihnachtsfest feiern, wer weiß, ob's das letzte sein wird.“ Das sind Dinge, die habe ich gedacht, aber die habe ich nie so gesagt, weil ich einfach den Glauben meiner Mitmenschen nicht trüben wollte. „Die Hoffnung“, man sagt ja immer: „Die Hoffnung soll man nicht aufgeben.“ Aber das ist ganz schön schwierig auf dieser Reise, das nicht immer zu tun und ich habe mich dann zurückgezogen. Ja, ich habe dann lieber gar nichts gesagt.
Lars [00:06:56] Hast du dich in dieser Zeit auch mit anderen verglichen, denen es vielleicht besser ging oder die besser damit umgehen konnten?
Paula [00:07:03] Natürlich, klar. Das war toxisch. Und ich sag's wie's ist, das war toxisch. Ich bin eigentlich nicht so ein „Missgönner“ in meinem normalen gesunden Naturell, also wirklich nicht. Aber ich habe ganz häufig gedacht, warum geht's bei denen glatt und bei mir sind so viele Steine da. Oder warum kann der jetzt morgens um sieben aufstehen und ich kann mich gar nicht bewegen. Und das ist wirklich eine ganz, ganz schwierige Sache, das zu lösen. Weil das, was man gerne hätte, das hat ja auch was mit Hoffnung zu tun. Jemand andres lebt. Oder warum können die anderen in den Urlaub fahren? Warum können die anderen ins Schwimmbad gehen? Und ich muss meinem Sohn jetzt wieder sagen, es geht nicht. Und ich glaube, das tut weh, das zu verabschieden zumindest für den Moment. Aber es kommt wieder. Daran muss man, glaub ich, glauben. Das man schon die Option, alles gerade in dieser Akutbehandlung dransetzt, dass das wiederkommt. Du gibst gerade alles, um dieses Ziel zu erreichen. Und das ist so eine Selbststrangulierung, wenn man sich vergleicht eigentlich. Das sollte man nicht tun, wie Alex auch immer wieder sagt: „Wir sind so individuelle Menschen, genauso wie unsere Krankheitsverläufe das auch sind.“ Und ja bei sich bleiben und Grenzen setzen, das ist nicht immer schön. Das muss man so sagen, wir wollen das ja gar nicht bagatellisieren. Aber Vergleiche tun weh.
Lars [00:08:19] Also ich kann mir das sehr gut vorstellen, dass dieses Vergleichen in manchen Situationen also regelrecht problematisch ist und gerade in diesen Zeiten, wo wir auf den unterschiedlichsten Social-Media-Kanälen immer wieder gucken können, was die anderen so treiben und dadurch ja in so einer Art Wettbewerb hineingeraten. Und die Erkrankung Krebs ist aber bei jedem Menschen eben anders, so wie du's gesagt hast. Und dazu gibt es einen interessanten Beitrag einer Psychoonkologin und sie berichtet darin auch von der Erwartungshaltung des Umfelds. Weil manche Betroffene trotz Therapie in der Lage sind, die können Vollzeit arbeiten oder sie können körperliche Nähe genießen und dadurch entstehen dann bei denen, die das nicht so gut können oder sich nicht so gut fühlen, Selbstzweifel oder vielleicht sogar Neid. Und gleichzeitig ist es aber wohl so, dass Betroffene trotzdem das Bedürfnis haben, sich untereinander auszutauschen. Also das Ganze ist ja irgendwie so eine Art Gratwanderung.
Lars [00:09:13] Und deswegen frag ich noch mal, Paula, Alex, wie schätzt ihr diese Ambivalenz dieser Kommunikation ein. Wie holt man das Beste aus diesem Austausch dann heraus? Ohne dann in diese Vergleichsfalle reinzutappen?
Alex [00:09:25] Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wenn man sich austauscht mit anderen, also so wie bei Paula und mir zum Beispiel. Wir haben uns jemanden gesucht, der zu unserer Lebenssituation passte. Das heißt, es bringt ja nichts, wenn ich mich mit jemanden vergleiche, der keine Kinder hat. Und ich habe zwei kleine Kinder hier und einen komplett anderen Alltag. Ne, also wir haben uns…
Lars [00:09:43] Gesucht und gefunden. Darf man es so ein bisschen sagen?
Alex [00:09:44] Auf jeden Fall. Weil wir eben beide einen Krebsalltag mit Kindern hatten und dadurch haben wir uns schon von anderen Menschen unterschieden. Und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man, wenn man überhaupt vergleicht, dann sollte man sich doch zumindest mit denen vergleichen, die in der gleichen Situation sind. Das ist das Gleiche, wenn ich sag bei dem, der macht aber keine Chemo. Ich mach 'ne Chemo, ja ich habe vielleicht auch 'nen ganz anderen Tumor. Also Vergleichen generell find ich sehr, sehr schwierig. Was aber ganz wichtig ist und das ist dieser Austausch und diese Kommunikation trotzdem untereinander. Weil ich brauch vielleicht gar nicht über meine Therapien oder irgendwas mit jemandem sprechen, der in der gleichen Situation ist. Wenn ich der Paula gesagt habe, hör mal zu, heut Nacht nassgeschwitzt gewesen. Ich brauch gar nicht erklären weswegen, die weiß das. Weil sie geht gerade durch genau die gleiche Situation und das ist dieses blinde Verständnis und diese Solidarität untereinander auch, dass man sich ohne Worte sehr gut versteht. Und ich glaube da ist dann auch kein Vergleichen richtig, sondern man geht da einfach Hand in Hand zusammen durch die Situation.
Lars [00:10:47] Ist dir das denn auch passiert, Alex? Dass du dich verglichen hast mit anderen Betroffenen.
Alex [00:10:52] Das ist sicher auch mal passiert, kann ich mir sicher vorstellen. Es gibt auch schönes Vergleichen: Wenn ich gedacht habe, guck mal, die hat auch Brustkrebs gehabt, die hat schon wieder Haare, so schnell sind die gewachsen. Das ist ja auch ein schönes Vergleichen. Also das Vergleichen muss ja nicht immer was Schlechtes sein, was vielleicht auch mal Hoffnung geben kann.
Lars [00:11:11] Inwiefern beeinflussen dann dein Körpergefühl und deine Wahrnehmung die Kommunikation? Also was hat das gemacht? Also es hat euch angetrieben, also hat euch noch näher zusammengebracht, dich und Paula. Alex, oder? Du überlegst?
Alex [00:11:26] Ich überlege jetzt wirklich, weil es ist natürlich so, das Körpergefühl ist die eine Sache und die Solidarität ist die andere. Also wenn jemand in der gleichen Situation steckt wie du und kann vieles nachvollziehen, ist es trotzdem, dass ich ein ganz anderes Körpergefühl habe als vielleicht Paula. Weil wir alle anders sind und was mich vielleicht hier zwickt und da zwickt, dafür hat Paula keine Brüste, um das mal so platt auszusprechen. Ich glaube, da kann man sich gar nicht vergleichen, wenn es um Körpergefühl und sowas geht. Wir haben alle unsere Päckchen, die wir trotzdem mit uns rumtragen, da brauchen wir auch gar nicht schönreden. Wir haben alle Nachwehen der Krebsbehandlung. Wir sind alle nicht mehr die Alten und da gibt's auf jeden Fall auch heute immer noch Tage, wo ich mich total ärger darüber, dass mein Körper halt nicht das so kann, wie ich das eigentlich gerne oder wie mein Geist das gerne möchte, oder mein inneres Ich sagt so: „Hey, das schaff ich doch locker.“ Und mir ganz, ganz, ganz brutal diese Grenzen vor Augen geführt werden. Das ist dann wieder nicht so lustig.
Lars [00:12:26] Paula, wie war es bei dir?
Paula [00:12:28] Ja, ich bin da gerade gedanklich ganz tief drin, ehrlich gesagt. Also es ist ja so, zwei entscheidende Pfeiler, die auch so in dieser Krankheitsbewältigungsstrategie verankert sind, ist Wissen und Vernetzung. Wissen in dem Sinne, mit wem habe ich es eigentlich zu tun? Weißt du, das relativiert die Vergleiche. Brustkrebs ist ja ein Überbegriff ganz, ganz verschiedener Erscheinungsformen dieser Krankheit. Also ich kann jetzt nicht sagen, warum macht Person XY gar keine Chemo. Warum passiert mir das nicht? Dafür muss ich ja wissen, dass man in unserem Fall z.B. im triplenegativen Tumor eigentlich immer auf eine Chemo zurückgreift, weil man natürlich nicht mit Antihormonen arbeitet, also so wirklich fachliches ganz, ganz trockenes Wissen. Mit wem habe ich es eigentlich zu tun? Was ist meine Erkrankung eigentlich? Und das habe ich mir natürlich auch im Austausch mit Patientinnen aber auch mit Ärzten geholt. Das muss nicht immer das Fachmedizinische sein, aber das kann zum Beispiel sein: „Warum habe ich jetzt eigentlich gerade eine Hitzewallung? Warum fallen einem eigentlich die Haare aus?“ Also ich habe ganz viel Wissen generiert aus diesem Austausch mit Betroffenen aber auch mit Ärzten. Der zweite Punkt ist die Vernetzung, also auf einer emotionalen Ebene nämlich zu vergleichen, nicht unbedingt mit: „Wer kann das schöner, weiter, besser? Wer kann Vollzeit arbeiten? Wer überhaupt, wer gar nicht.“ Sondern ich habe zum Beispiel total gerne Alex zugehört, wenn sie mir von ihrem früheren Ich erzählt hat. Wenn sie erzählt hat, was sie bereist hat. Oder Alex war auf ganz vielen Kreuzfahrtschiffen unterwegs oder auch viel in der Welt. Sie hat viel von der Welt gesehen. Ich noch nicht so viel. Außerhalb Europas war ich noch nicht. Und da habe ich mich immer so hingeträumt. Das hatte per se erst mal gar nichts mit dem Krebs zu tun. Aber ich wusste, die liegt da mehrere 100 Kilometer in Köln und erzählt mir das und ich kann mich da so reinfühlen. Also das war eher auf so einer emotionalen Ebene und wenn man diese zwei Pfeiler betrachtet, nämlich einmal dieses gemeinsam Wissen generieren. Also lass uns mal im Kollektiv so viel Wissen generieren, dass wir sicher sind, dass wir irgendwie so eine Entscheidungsgrundlage fällen können. Und auf der anderen Seite steht ja einfach nichts anderes als eine Freundschaft, ja kein Wettbewerb, sondern eine Freundschaft. Und das hat mir persönlich so viel gegeben diese Sicherheit, dass es immer weniger zu Vergleichen kam, die mich ja immer runtergezogen haben am Anfang. Ich weiß noch, wie ich, um mal aus dem Nähkästchen zu plaudern, zu Beginn habe ich nach einem Strohhalm gegriffen, bevor ich auf Social Media gekommen bin in diesen Austausch, in diese Community. Da habe ich's erst mal ganz klassisch mit Büchern probiert. Dann las ich ein Buch einer Autorin, die einen ausgeprägten Kinderwunsch hatte und den entsprechend häufig umzusetzen versuchte mit ihrem Partner und ich hab immer gedacht, was stimmt denn mit mir nicht. Ich habe gar kein Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Ich habe überall Wunden, alles spannt, ich habe Nebenwirkungen, ich fühl mich so wahnsinnig unwohl, ich habe so zugenommen. Was stimmt mit mir nicht? Das war der erste Gedanke, den ich hatte und der hat sich alle 300 Seiten durchgezogen. Auf jeder Seite habe ich gedacht, was stimmt mit mir nicht, was stimmt mit mir nicht und das war nicht richtig. Also diese Form von Austausch tat nicht gut, weil sie einseitig funktioniert hat. Im Austausch, diese Wissensgenerierung, jeder wirft ein bisschen was in den Pott, das hat letztendlich das Bild rund gemacht und am Ende des Tages zählte irgendwie auch die Freundschaft.
Lars [00:15:53] Ging dir das auch so, Alex? Jetzt so, wenn ihr zurückschaut oder wenn du zurückschaust.
Alex [00:15:58] Auf unsere Freundschaft?
Lars [00:16:00] Ja, auf eure Freundschaft, auf diesen Austausch.
Alex [00:16:01] Ja, auf jeden Fall. Aber ich habe die Bücher nicht gelesen, muss ich sagen. Mein Bruder hat mir ein Buch geschenkt, das hieß „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“, da habe ich kurz mal durchgeblättert und ich habe wirklich in dieser kahlen Chemo-Praxis auch jemanden gefunden, mit dem oder zwei Frauen sogar, mit denen ich mich ganz gut ausgetauscht habe. Wir haben da wahrscheinlich einen anderen Ansatz auch gehabt. Das ging bei mir auch relativ schnell, dass das Lesen nichts für mich war. Ich kann's aber natürlich total verstehen, weil wir haben uns auch über dieses Buch ausgetauscht, Paula und ich. Das war wahrscheinlich ganz gut, dass es dann wieder das Ganze in Relation gesetzt hat, zu sagen, das ist vielleicht ein Beispiel von einer Frau, der ging das so. Aber bei uns allen anderen ist es doch ganz anders und das relativiert das Ganze dann wieder. Da sagt man, das ist EIN Beispiel. Brauchen wir uns gar nicht vergleichen, jeder ist anders.
Lars [00:16:42] Als dein Bruder dir dieses Buch geschenkt hat, wie hast du da reagiert?
Alex [00:16:47] Ich muss sagen, das kann man natürlich auch nur untereinander machen, wenn man ein gutes Verhältnis hat. Und wir haben einen sehr guten Humor miteinander. Der hat mir auch zu meiner ersten Chemo so einen Cartoon geschickt, da war eine Frau im Chemosessel und auf Englisch stand dann nur so: „Gibt’s zu dem Cocktail hier auch so ein paar Snacks noch dazu? Pretzels with the cocktail?“ Man sagt ja auch Chemo-Cocktail. Ich fand es total lustig. Andere hätten wahrscheinlich gesagt: „Wie kann man denn sowas machen?“ Aber ich finde Humor ist halt auch so eine gute Sache und das ist auch mein Bruder. Der konnte auch auf Weihnachten sagen, als ich dann mit der Glatze da war, der sagt dann: „Ja endlich mal sieht man unsere Familienähnlichkeit.“, der trägt nämlich auch Glatze und es fanden andere vielleicht wieder ganz unpassend. Mir hat es geholfen und das war auch absolut super so.
Lars [00:17:32] Also wir haben es ja hier ausführlich über die Voraussetzungen guter Kommunikation und natürlich jetzt die Tücken dabei gesprochen. Aber wahrscheinlich gilt auch in Sachen Kommunikation ganz das Motto „Übung macht den Meister“ und mich würde interessieren, welchen Rat ihr Betroffenen mitgeben würdet. Paula, was für Tipps hättest du da?
Paula [00:17:50] Wir sind ja so ratschlagaffin.
Lars [00:17:53] 70 Folgen Podcasts habt ihr ja schon gemacht, also.
Paula [00:17:56] Ja, aber wir können nur sagen, was uns geholfen hat und wie du merkst, sind das ja auch immer ganz, ganz verschiedene Dinge. Tatsächlich kommt erstmal zu euch. Also auch wenn ihr das Bedürfnis habt und irgendwann kommt ja der Moment, da teilt man sich mit, da hat man vielleicht noch gar nicht alle Sinne beieinander und bewegt sich noch im freien Fall. Kommuniziert das so. Also nehmt eure eigenen Bedürfnisse, eure eigenen Gefühle erstmal ernst. Ihr könnt auch sagen: „Ich habe Krebs. Ich kann dazu jetzt gerade nicht mehr sagen und ich möchte dazu gerade nicht mehr sagen. Was geht denn bei dir?“ Ja, das ist vielleicht erst mal so ein bisschen ungalant. Aber sammelt euch erstmal selbst und schafft euch auch Zeitpuffer, wenn ihr nicht ad hoc antworten könnt. Es ist nicht eure Aufgabe, die anderen zu trösten. Das sendet unter anderem vielleicht ein bisschen falsche Signale und sagt: „Nein.“ Grenzen tun weh, wir müssen das üben. Das ist ja das, was du sagst. Meistens kommt es bei den anderen aber gar nicht schlecht an. Also nur weil man gewohnt, zu sagen: „Ja, ja mach ich. Ja, ja ich mach das nochmal schnell.“ oder „Natürlich.“ Wenn das zu eurem Hauptvokabular gehörte, wird das „Nein, später.“ oder „Nein, erst mal nicht.“ erst mal unkomfortabel, aber in der Regel reagiert das Umfeld gar nicht so negativ. Im Gegenteil die sind ganz froh, wenn sie auch aktiv werden können, also bei Hilfe. Fragt aktiv danach, die anderen sind eigentlich ganz froh, wenn sie in so einer Schreckensminute auch eine Aufgabe bekommen, die ganz klar formuliert ist.
Lars [00:19:24] Hast du Ratschläge für Angehörige, Alex?
Alex [00:19:26] Ja, das find ich auch ähnlich schwierig. Also wie die Paula das gerade schon gesagt hat, das geht ganz viel um Grenzen und das Akzeptieren von Grenzen und das müssen natürlich auch die Angehörigen. Also dann kann man auch fünf gerade sein lassen und sagen, diese Person ist gerade im Wandel, ich gebe ihr da einfach vielleicht mal ein bisschen Raum. Dass man als Angehöriger auf seine Bedürfnisse auch hört, das find ich zum Beispiel total wichtig. Und auch als Angehöriger Grenzen setzt, das darf man auch. Also man darf auch als Angehöriger mal sagen: „Du ich kann das jetzt gerade nicht, ich kann gerade nicht mit dir sprechen, ich kann das jetzt nicht, aber ich melde mich nächste Woche oder so.“ Das find ich auch absolut OK und es ist für jeden Betroffenen total schwierig, also für mich war es sehr schwierig, nach Hilfe zu fragen.
Alex [00:20:10] Und ich finde, ich persönlich, und das hat jetzt nur bei mir geholfen, das ist vielleicht bei jeder anderen wieder anders, ich fand es ganz toll, wenn Menschen proaktiv auf mich zugekommen sind und mir was vorgeschlagen haben. Wenn sie gesagt haben: „Wir nehmen übermorgen deine Kinder, ist das OK?“ Und ich musste einfach nur sagen: „Ja, danke. Das ist super.“ Und ich musste nicht aktiv auf jemanden zugehen und sagen: „Hör mal zu, das wird mir gerade alles ein bisschen viel. Könntest du vielleicht meine Kinder nehmen?“
Lars [00:20:39] Mhm, das ging dir nicht so gut über die Lippen.
Alex [00:20:43] Nee, ich glaube, ein bisschen wie das Paula auch gesagt hat. Man versucht immer, sich selbst auch zu zeigen, wie stark man doch eigentlich ist und dass man das doch alles alleine kann und das geht schon und mir ist es unheimlich schwergefallen, nach Hilfe zu fragen. Was ich gemacht habe, weil viele Leute kommen ja auf einen zu und sagen: „Meld dich, wenn du Hilfe brauchst.“ Ich habe alle diese Menschen in eine WhatsApp-Gruppe gepackt und habe sie genannt „Alex braucht Hilfe“. Und das hat mir geholfen, weil ich wusste, so habe ich irgendwas getan, dass die anderen schon mal denken, sie helfen schon mal, allein weil sie in dieser Gruppe sind. Und für den Fall, dass ich wirklich Hilfe brauche, muss ich nicht acht Leute antelefonieren, sondern ich schreibe einmal in die Gruppe und dann können die untereinander klären, wer mir da helfen kann. Und ich musste das auch einmal in Anspruch nehmen und das war auch sehr schön, dass sich die fast darum gestritten haben, wer mir dann da helfen durfte.
Lars [00:21:32] Und ist es öfter passiert, dass Leute dann diese Hürde auch selbst genommen haben, dass sie auf dich zugekommen sind, also so proaktiv?
Alex [00:21:36] Ja. Ja, ich weiß es wirklich sehr zu schätzen. Die Sache ist die, ich kann ja auch immer nein sagen. Als Betroffener, ich kann ja sagen: „Nein, du, das ist mir zu viel.“ oder „Nein, danke.“ Wenn mich jemand anruft, ich muss ja nicht rangehen. Ich kann ja auch sagen, ich hör mir das hinterher auf der Mailbox an. Ich habe mich über Nachrichten sehr, sehr, sehr gefreut. Was ich aber auch jedem Angehörigen mitgeben würde, ist, dass, wir sprechen hier sehr viel über den Austausch unter den Betroffenen, ich finde den Austausch unter den Angehörigen auch total wichtig. Weil wir sind als Patienten betroffen, aber als Patienten haben wir natürlich so ein bisschen unseren Fahrplan. Ich habe einen Therapieplan, ich kann meine Meilensteine schön immer abhaken. Aber als Angehöriger stehe ich so hilflos daneben, weil ich aktiv ja gar nichts machen kann an der Therapie oder dass der Krebs weggeht oder so. Und deswegen find ich wichtig, dass sich Angehörige, wenn Sie das möchten, auch untereinander austauschen. Es gibt die yeswecan!cer-App zum Beispiel, wo man Angehörige untereinander vernetzen kann, oder man findet sich auch auf Instagram vielleicht. Es kommt auf die Krebsart an, aber ich find das Reden hilft so, so, so viel und da hat man auch jemanden, der vielleicht auch in der gleichen Situation ist, dass der Partner gerade krank ist und darüber reden kann.
Lars [00:22:54] Paula, wie war das bei dir? Konntest du gut Hilfe annehmen von draußen?
Paula [00:22:59] Überhaupt nicht. Gar nicht, so wie Alex auch. Also es bricht ja alles irgendwie in Scherben zusammen, also das Leben, das du dir ausgeträumt hast. Ja, also in welcher Lebensplanung taucht Krebs schon auf? Also das ist kein Lebensziel, dass das alles zusammenbricht. Ich habe immer gedacht, es gibt so eine Konstante darin und das bin ich. Deswegen habe ich viel, viel Energie da reingesteckt, diese Konstante zu halten, also im Alltag, ganz platt gesagt einen Alltag.
Lars [00:23:29] Die alte Struktur.
Paula [00:23:29] Die alte Struktur. Auch für mein Kind. Das war immer so oberstes Ziel auch über meine eigenen Bedürfnisse hinaus. Ich würde es auch immer wieder so machen. Das ist so eine Löwenmutter-Geschichte, Löwenmutter-Power, die steckt so in uns. Also morgens gibt es Frühstück, die Dosen sind gepackt, der Turnbeutel ausgeleert, das Zimmer mal durchgesaugt, obwohl man eigentlich gar nicht die Kapazität dazu hat. Wäre es mir besser gegangen, hätte ich Hilfe an vielen Stellen ganz bestimmt angenommen. Aber es fiel mir schwer, weil ich gedacht habe, ich muss jetzt auch das noch abgeben.
Lars [00:24:00] Ist es dir dann mal gelungen, also gab es dann wirklich mal eine Situation, wo du sagtest: „Ja, bitte hilf mir.“, oder „Mach es gern.“?
Paula [00:24:08] Also ich muss sagen, ich habe mein Mann zu Hause, der hat natürlich viel hinter die Fassade blicken können. Man kennt sich ja auch, man ist sich ja nicht fremd. Der hat schon vieles übernommen und in meinem Namen delegiert. Ich selbst hätte das, glaub ich, als mein Scheitern wahrgenommen. Das ist auch so ein Ego-Ding.
Lars [00:24:25] Würdest du es jetzt rückblickend anders machen?
Paula [00:24:27] Ich glaube, ich würde vieles anders machen. Aber es ist ja immer Theorie und Praxis. Ich glaube, es würde mir nicht unbedingt gelingen. Was ich anders machen würde: Ich würde Dinge vielleicht anders kommunizieren. Also ich würde trotzdem versuchen, meinen Alltag zu halten. Aber ich würde ihn anders gestalten. Ich würde den Mut nehmen zu sagen, der Alltag muss nicht weiterlaufen, wie er bisher war. Der Alltag darf auch anders sein. Also mir so eine Flexibilität auch erlauben, weil das ganz viele Rabenmuttergefühle ausgelöst hat. Das war ein schlimmes Gefühl. Ich glaube, ich wäre friedlicher zu mir selbst. Also so kann man es sagen, ich glaube, ich wäre friedlicher zu mir selbst.
Lars [00:25:07] Ja, ganz, ganz lieben Dank, Alex und Paula, für diese wertvollen Einblicke und besonders mit dieser zweiten Folge habt ihr mir und den Zuhörern und Zuhörerinnen da draußen, ich glaube spannende Impulse mitgegeben, um mal ein bisschen genauer in uns hineinzuhorchen und uns wichtige Fragen zu stellen. Zum Beispiel kenne ich eigentlich meine Bedürfnisse? Gibt es etwas, was mich beim Aussprechen dieser Bedürfnisse hemmt, oder wie kann ich an meiner Kommunikation arbeiten? Also ich danke Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, liebe Podcast-Fans, dass sie sich für dieses wichtige Thema heute mit uns die Zeit genommen haben und ich danke natürlich auch euch, Alex und Paula und wünsche euch und uns alles Gute. Bis bald.
Lars [00:25:53] Vielen Dank, dass Sie heute dabei waren. Wir freuen uns auf Anregungen, Ideen oder Themenvorschläge für „Mein Krebsratgeber zum Hören“ oder möchten Sie ihre Geschichte mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail. Im Beschreibungstext finden Sie alle weiteren Informationen und Adressen.