Transkript Folge 5: Umgang mit sichtbaren Symptomen - bei MS

Worum geht’s im Podcast?

Angy [00:00:00] Herzlich willkommen zu „Sprich’s aus! Bei MS“. Mein Name ist Angy Caspar und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir in diesem Podcast über die Krankheit der 1000 Gesichter. Hör rein, wenn du mehr über ihre inspirierenden Geschichten und Erfahrungen zu dem Umgang mit der Erkrankung im Alltag erfahren möchtest. Denn bei MS kann man eine Menge machen. Viel Freude beim Zuhören.

Angy [00:00:32] Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von „Sprich’s aus! Bei MS“. Ich freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid. In diesem Podcast sprechen wir über Themen rund um Multiple Sklerose, tauschen Erfahrungen aus und geben Tipps für das Leben mit MS. Heute spreche ich mit Dominik Beutner darüber, wie er gelernt hat, mit den sichtbaren Symptomen seiner MS umzugehen und Hilfe von außen anzunehmen. Herzlich willkommen, Dominik. Schön, dass du da bist!

Dominik [00:01:01] Hi Angy, erst mal vielen Dank für die Einladung!

Angy [00:01:03] Sehr gerne. Ja, es freut mich sehr, dass wir uns heute zu deinen Erfahrungen im Umgang mit der MS austauschen. Und ja, bitte stell dich doch einmal ganz kurz vor.

Dominik [00:01:13] Ja hallo, mein Name ist Dominik. Ich bin 30 Jahre alt, komme aus dem schönen Bundesland Bayern, bin studierter Betriebswirt und arbeite Vollzeit im öffentlichen Dienst. Die Diagnose Multiple Sklerose begleitet mich nun seit meinem 16. Lebensjahr, sprich seit dem Jahr 2006.

Rückblick: Die Zeit vor der Diagnose

Angy [00:01:33] Vielen Dank für die Vorstellung Dominik. Genau und wie du schon gesagt hast, du hast die Diagnose sehr früh erhalten, nämlich mit deinem 16. Lebensjahr. Das heißt, du lebst inzwischen jetzt schon seit 14 Jahren mit der MS. Und wenn du dich mal an die Zeit zurückerinnerst, also vor der Diagnose, wie haben sich denn bei dir deine ersten Symptome geäußert?

Dominik [00:01:54] Puh, ich war damals mitten in der Pubertät, bin gerade in die Oberstufe gekommen und war gefühlt jedes Wochenende irgendwo anders unterwegs. Bis ich dann irgendwann ein ganz leichtes Kribbeln in meinen Fingerspitzen bemerkt habe, was ich im ersten Moment nicht als problematisch oder in irgendeiner Form als schlimm empfunden hätte. Es war halt ein Kribbeln in den Fingern. Irgendwann, so zwei, drei, vier Wochen später, hat sich das Kribbeln immer weiter ausgebreitet. Zu diesem Zeitpunkt war dann bereits die ganze Hand irgendwie anders – eingeschlafen, pelzig, so kann man das ungefähr erklären. Aber auch da dachte ich mir, in meinem jugendlichen Leichtsinn, das wird halt ein eingeklemmter Nerv sein oder irgendwas in der Art. Ich habe jetzt nicht damit gerechnet, dass es was Schlimmes ist. Dann hat es wieder ein paar Wochen gedauert und dann ist mir zum ersten Mal bewusst aufgefallen, dass ich überhaupt keine Sachen mehr greifen kann. Mir ist dann auch öfter etwas heruntergefallen und meine Hand war mir irgendwie komplett fremd. Und das war dann auch der Zeitpunkt, zu dem ich zu meiner Mama gemeint habe: „Wir sollten vielleicht langsam mal zum Arzt gehen, denn irgendwie passt mit meiner Hand etwas nicht.“

Angy [00:03:19] Wie lange hat es denn dann gedauert, bis die Diagnose MS letztendlich gestellt wurde?

Dominik [00:03:24] Ja, letztendlich sind wir dann ins Krankenhaus gefahren. Da hatte ich dann relativ Glück an eine junge, sehr engagierte Assistenzärztin zu geraten, die meine Beschwerden wirklich direkt ernst genommen hat. Man hört ja häufiger, dass man erst Mal von Arzt zu Arzt geschoben wird und Ähnliches. Aber die nette junge Ärztin hat eben direkt meine Beschwerden sehr ernst genommen. Folglich wurde das komplette Programm, also Blutentnahme, MRT, irgendwelche Nervenmessungen und alles Mögliche durchgeführt, bis dann letztendlich das Ergebnis kam, was in erster Linie nicht so zufriedenstellend war. Die Ärztin in dem kleinen Klinikum damals meinte, sie sieht irgendwas auf den Bildern in meinem Kopf, will oder kann sich da aber zum aktuellen Zeitpunkt nicht festlegen und ich soll doch bitte in die nächstgelegene Uniklinik fahren. Mit der Information bin ich dann vorsichtshalber direkt nach Hause, habe schon mal die Koffer gepackt und hab mich auf einen potenziell längeren Aufenthalt in der Uniklinik eingestellt. Ich bin dann auch mit einem recht mulmigen Gefühl dahingefahren, denn man sieht irgendwas im Kopf und mit der Hand passt irgendwas nicht, also ich bin vom Schlimmsten ausgegangen.

Angy [00:04:50] Okay, das heißt, dann bist du in diese andere Klinik gefahren, wie du gerade schon gesagt hast. Wie ging es denn dann weiter und wie lange hat es dann noch gedauert, bis du tatsächlich die Diagnose bekommen hast?

Dominik [00:05:02] Ja, dort in der Uniklinik wurde dann eben noch mal das komplette Procedere durchgeführt, inklusive der berühmten Lumbalpunktion. Und dann war eigentlich relativ schnell die Diagnose MS gesichert. Und das war dann im ersten Moment tatsächlich etwas Positives. Also wirklich eine Art Erleichterung, weil ich mir ja bereits während der Fahrt in die Klinik wirklich die wildesten Szenarien ausgemalt habe und wir dachten immer, ja das könnte was Ernstes sein.

Leben mit MS: Ein Einblick in Dominiks Gefühlswelt

Angy [00:05:36] Und du hast ja eben schon gesagt, du warst sehr jung, also 16, dann hast du diese Diagnose bekommen. Was hat das für Gefühle in dir ausgelöst? Wie ging es dir dann?

Dominik [00:05:46] Im ersten Moment, wie gesagt, war ich wirklich erst mal erleichtert. Ich wusste jetzt MS – man hat es natürlich schon mal gehört. Aber ich war in erster Linie froh, erst einmal eine Diagnose gestellt bekommen zu haben und dachte mir: „Na ja, jetzt wissen die Ärzte, was ich habe. Kann ja nicht so schlimm sein und ein paar Wochen später ist alles wieder in Ordnung.“ So war mein damaliger Stand.

Angy [00:06:12] Welche Informationen hattest du denn dann damals über MS schon? Du hast ja gesagt, du hast schon mal irgendwas davon gehört.

Dominik [00:06:19] Tatsächlich waren die Informationen, die ich über MS hatte, gleich null. Mir war bewusst, dass MS Multiple Sklerose bedeutet und man durch die MS im schlimmsten Fall im Rollstuhl landet. Aber Einzelheiten oder genaue Details wusste ich darüber tatsächlich nicht.

Nach der Diagnose: Wie ging es weiter?

Angy [00:06:38] Mich und die Zuhörer:innen interessiert es, wie es dann weiterging. Also wie und auf welchem Weg hast du dich mit der Diagnose beschäftigt und wo hast du dir die Informationen geholt?

Dominik [00:06:49] Tatsächlich ist dann nach dem ganzen Anfangstrubel erstmal gar nicht so viel passiert. Ich habe dann über eine Woche eine intravenöse Kortison-Dosis erhalten und wurde relativ schnell wieder aus dem Klinikum entlassen. Meine Hand und mein Arm waren dann zeitnah auch wieder normal. Jedoch konnte ich gewisse Sachen nicht mehr machen, weil der Arm eben längere Zeit abwesend war, so würde ich es mal beschreiben. Also, ich musste dann wirklich in die Ergotherapie, ich musste Kugeln von A nach B legen. Hört sich primitiv an, war aber wirklich das anstrengendste, was ich in meinem ganzen Leben je gemacht habe. Aber ich habe dann wirklich kurze Zeit später überhaupt keine Beschwerden mehr mit der Hand und dem Arm gehabt und dachte mir: „Naja gut, jetzt hat man die Diagnose MS. Aber es ist ja alles unverändert gut und es wird bestimmt so weitergehen.“

Zeiten der Veränderung: Wie ging es Dominik körperlich und mental?

Angy [00:07:46] Wie ging es dir denn dann in dieser Zeit körperlich oder auch mental?

Dominik [00:07:51] Es hat mich zeitweise ziemlich aus der Bahn geworfen. Plötzlich musste ich mit meinen jungen Jahren regelmäßig ins Krankenhaus, MRT-Termine wahrnehmen, jeden Tag an die Medikamente denken, einen Schub nach dem anderen miterleben. Und das Schlimmste war, dass ich nie gewusst habe, wann der nächste Schub kommt und welche Körperstelle diesmal betroffen ist. Ich war also durchgehend mit der MS konfrontiert. Ich habe dann gelernt, mich damit irgendwie zu arrangieren, bis dann allerdings im Jahr 2012 der nächste und mein schlimmster Schub kam.

Dunkle Zeiten: Der schwere Schub vor 6 Jahren

Angy [00:08:31] Vielleicht kannst du ja noch mal ein bisschen was darüber erzählen Dominik.

Dominik [00:08:34] 2012 hatte ich dann einen Schub in den Beinen, also Missempfindungen. Mir fiel das Laufen schwer und ich hab die Beine nicht mehr gespürt. Ich hab gewusst, dass sie noch da sind und auch gewusst, dass man mit den Beinen eigentlich laufen sollte. Aber so eine Selbstverständlichkeit, wie es davor war, war es eben nicht mehr. Ich musste wirklich jeden einzelnen Schritt bewusst gehen. Und dann war mir eigentlich relativ schnell klar: Ich habe einen Schub. Ich bin wieder ins Klinikum, ich habe wieder Kortison bekommen. Nur diesmal hat sich nichts verändert in den Beinen. Ich habe dann noch mehr Kortison bekommen. Das wurde sogar auf zwei Gramm täglich erhöht, aber letztendlich waren die Beine weiterhin vom Schub betroffen. Es wurden zwar die Missempfindungen und das Gefühl besser, aber an meiner Art zu laufen hat sich leider nichts mehr verändert.

Angy [00:09:31] Wie ging es dir dann? Was hat das in dir ausgelöst, das zu wissen?

Dominik [00:09:35] Ja, es war eine große Umstellung. All die Sachen, die ich vorher gerne gemacht habe, Sport, Joggen und so weiter, waren plötzlich nicht mehr so möglich, wie ich es vorher gekannt habe. Dennoch habe ich durch meine positive Einstellung Wege gefunden, die mich trotz meiner Einschränkungen nicht daran gehindert haben, weiterhin ein glückliches Leben zu führen.

Reaktionen von Freunden und Familie

Angy [00:09:57] Ich komme da auch gleich noch mal drauf zurück. Was mich noch interessiert ist: Wie haben denn deine Freunde und Familie auf die Diagnose MS reagiert?

Dominik [00:10:08] Ich glaube, als ich mit 16 im Krankenhaus war, waren meine Eltern dabei und für meine Mutter war der Schock größer als für mich selbst, vermute ich. Ich denke, dass meine Mutter, die ist gelernte Pflegefachkraft, vielleicht etwas besser über die Krankheit Bescheid wusste als ich und dementsprechend musste sie sich sehr zusammenreißen, vor mir nicht in Tränen auszubrechen. Natürlich habe ich als Sohn gemerkt, dass die Diagnose nicht so gut ist. Aber es hat mich gleichzeitig stärker gemacht, weil ich ihr eben nicht zeigen wollte, dass es mir jetzt gerade auch nicht so gut geht.

Angy [00:10:52] Gab es denn dann Veränderungen? Du hast ja gerade eben über 2012 berichtet. Als dann die Thematik mit deinen Beinen aufkam, gab es dann noch mal veränderte Reaktionen bei Familie oder Freunden? Denn du warst ja immerhin noch sehr, sehr jung. Und das ist ja eigentlich gerade das Alter, mit 16 oder Anfang 20, indem man einfach spontan verrückte Sachen macht.

Dominik [00:11:21] Ich glaube, natürlich hat jeder gemerkt, dass ich anders laufe als vorher. Das konnte man nicht verbergen. Es hat wirklich jeder mitbekommen. Aber gerade die Menschen, insbesondere meine Freunde, Bekannte oder gar die Familie, also die Personen, die mir wichtig sind, haben mich so akzeptiert wie ich eben bin. Es gab da nie irgendwie Probleme oder Ähnliches, dass sie jetzt gesagt haben: „Mach mal bisschen schneller!“ oder irgendwas in der Form. Eher im Gegenteil. Die wussten teilweise wahrscheinlich sogar besser Bescheid als ich selbst. Konkretes Beispiel: Ich würde niemals zugeben, dass es mir jetzt zu anstrengend wäre, in den Keller zu laufen, um eine Kiste Wasser zu holen oder guten Freunden beim Umzug zu helfen. Ich würde immer sagen: „Ich bin dabei, natürlich, ich machte das!“ und alles Mögliche. Aber meine Freunde wissen einfach, dass das für mich jetzt nicht unbedingt das Einfachste ist. Ich würde es zwar schaffen, es wäre aber anstrengend, aber es würde gehen. Aber sie fragen dann im Endeffekt gar nicht, sondern gehen einfach selbstständig in den Keller, holen die Kiste Wasser und bringen sie hoch. Und sie sprechen das Thema MS oder „könntest du mal kurz“ oder sowas, ob bewusst oder unbewusst, überhaupt nicht an. Also alles in bester Ordnung.

Eine Frage der Kommunikation? Konfrontation mit der Außenwirkung

Angy [00:12:41] Und wie offen sprichst du generell über die Krankheit, also unabhängig von deiner Familie und deinen Freunden?

Dominik [00:12:50) Mir ist dann irgendwann aufgefallen, dass den anderen bewusst auffällt, dass ich wohl anders laufe. Ich laufe zum Beispiel durch die Stadt, durch die Hochschule, etc. und merke teilweise richtig, dass man mich bewusst oder unbewusst anschaut und sich fragt: „Was ist mit ihm?“ Beziehungsweise macht man sich auch selbst wahrscheinlich zu viele Gedanken und redet sich das vielleicht ein oder macht sich damit „wichtiger als man ist“ – hat wohl viel mit Einbildung zu tun. Aber es fällt auf, wie ich laufe, und vielleicht schaut doch der eine oder andere kurz hin. Ich glaube, letztendlich ist es den meisten Menschen, die mich persönlich nicht kennen oder mit mir in irgendeiner Weise Kontakt haben, einfach egal. Aber natürlich fällt es auf oder ich denke zumindest, dass es auffällt und die Leute mich anschauen.

Angy [00:13:46] Und wie ist das für dich? Wie fühlt sich das an, wenn du so merkst, dass du angeschaut wirst von anderen?

Dominik [00:13:53] Das ist tatsächlich der einzige Punkt, der mich persönlich wahrscheinlich stört. Ich bin ja nach außen recht selbstbewusst, bin ein sehr optimistischer Mensch und würde auch niemals zugeben, dass die MS oder Ähnliches auf mich irgendeine negative Auswirkung hat. Aber, wenn ich zum Beispiel, was ich überhaupt nicht mag, einen langen Gang habe, links und rechts im Supermarkt Leute stehen und ich an denen vorbeilaufen muss oder jemand hinter mir läuft, dann neige ich gern dazu, irgendwelche Ausreden zu finden, wie: „Oh, mein Schuh ist offen.“ Ich beuge mich runter zum Schuh, sodass derjenige, der hinter mir läuft dann vor mir läuft. Dann fühle ich mich in gewisser Weise sicherer, weil ich immer denke, derjenige schaut nur darauf, wie ich laufe. Die ganze Umwelt mit den schönen Bergen oder Ähnliches ist es egal, er hat den Blick nur auf mich gerichtet, das ist das Einzige, was ihm auffällt, was natürlich wahrscheinlich überhaupt nicht so ist, aber das stört mich persönlich eben.

Der Alltag nach dem Schub

Angy [00:15:02] Also für mich nachvollziehbar, weil man es halt nicht so richtig einordnen kann, „warum guckt diese Person jetzt?“. Und welche Symptome Dominik, sowohl sichtbar als auch unsichtbar, erlebst du auch heute noch im Alltag?

Dominik [00:15:17] Da muss ich sagen, habe ich tatsächlich viel Glück gehabt bzw. wurde ich dann nach meinem letzten Schub 2012 medikamentös gut eingestellt, sodass ich wirklich seit 2012, sprich seit neun Jahren, keinen einzigen Schub mehr hatte. Nur noch die Beschwerden, die damals durch den Schub in den Beinen ausgelöst wurden. Die sind noch unverändert vorhanden, aber ansonsten geht’s mir körperlich wie geistig wirklich mit der MS sehr gut.

Dominiks Erfahrungen im Beruf

Angy [00:15:52] Wie schön. Das freut mich sehr zu hören. Gibt es denn Situationen, in denen du das vielleicht erzählst oder vielleicht auch erzählen musst, aufgrund bestimmter Umstände, und dann auf Unverständnis stößt?

Dominik [00:16:06] Konkret auf Unverständnis bin ich tatsächlich noch nie gestoßen. Ich hatte die Beschwerden ja bereits vor meinem Hochschulabschluss. Meine Befürchtung war, dass mein künftiger Arbeitgeber es irgendwie negativ auffassen könnte. Ich habe dann damals meinem ersten Arbeitgeber, auch eine Art Lügengeschichte erzählt, warum ich so laufe, wie ich laufe, um das Thema MS eben zu umgehen. Ich habe auch damals den Job bekommen. Natürlich hat der eine oder andere Kollege noch nachgefragt, was los ist und ich musste halt wirklich bei meiner Geschichte bleiben, was mir irgendwie auch immer leidtat. Aber ich hatte wirklich Bedenken, das meinem Arbeitgeber preiszugeben, gerade nach dem Studium – ich wollte aufsteigen, ich wollte Karriere machen, ich wollte nicht, dass mir die Krankheit in irgendeiner Weise im Weg steht. Und ja, ich bin damit wirklich ganz gut gefahren. Ich musste wirklich darauf achten, jedem immer dasselbe zu erzählen, musste irgendwelche Ausreden finden, warum ich jetzt zum Arzt gehe oder Ähnliches. Das war nicht so einfach, was mich auch dazu bewegte, bei meinem neuen Arbeitgeber von Anfang an ehrlich zu sein. Ich habe dann zum Vorstellungsgespräch die Karten auf den Tisch gelegt, mehr oder weniger, und habe wirklich nur positives Feedback bekommen. Es wurden mir überhaupt keine Steine in den Weg gelegt oder Ähnliches. Und ich muss sagen, dass das wirklich eine sehr, sehr gute Entscheidung war, meinen jetzigen Arbeitgeber über die Sachlage zu informieren.

Kommunikation mit Fremden

Angy [00:17:54] Gibt es denn manchmal noch Momente, in denen es dir schwerfällt, offen mit der Erkrankung umzugehen?

Dominik [00:18:01] Natürlich! Wenn man neue Personen trifft, ob das jetzt komplett Fremde sind oder Freunde von Freunden. Man merkt öfter, dass diejenigen, sich fragen: „Warum läuft er so, was hat der?“ oder Ähnliches? Und manche sind dann so offen und fragen eben nett nach, was Sache ist. Dann habe ich auch kein Problem damit, es denen zu erzählen. Und es gibt die Leute, die eben nicht direkt nachfragen. Bei manchen Menschen hab ich von Anfang an das Bedürfnis, alles zu erzählen und sage dann sowas wie: „Hey, wenn wir uns später sehen, ich will dich schon mal vorwarnen: Ich habe meinen eigenen Laufstil, aber ich kann alles machen, ohne Probleme. Solange du jetzt nicht mit mir einen Marathon laufen willst oder eine Alpenüberquerung machen möchtest... Es fällt ein bisschen auf, aber ansonsten ist alles in bester Ordnung.“ Dann kann der- oder diejenige sich von vornherein ein bisschen darauf einstellen, ist vielleicht nicht direkt geschockt und kann dann, wenn Interesse besteht, eben nochmal im Detail nachfragen. Dann bin ich auch gern bereit, darüber Auskunft zu geben.

Der Aha-Moment: Erkenntnisse und intensive Beschäftigung mit der Erkrankung

Angy [00:19:13] Viele Betroffene sagen ja, dass sie sich erst einmal selbst mit der Erkrankung auseinandersetzen mussten, um sie akzeptieren zu können. Wie war das denn bei dir, Dominik?

Dominik [00:19:25] Wie gesagt, bis zu meinem Schub im Jahr 2012 war eigentlich alles in bester Ordnung. Ich hatte einen Schub, war im Krankenhaus, danach war ich wieder gesund, mehr oder weniger. Und wirklich erst seitdem die Beschwerden in den Beinen aufgetreten sind, die eben dauerhaft geblieben sind, wurde mir klar: „Okay, jetzt bist du wirklich krank, du hast MS, die jetzt auch jeder andere sieht.“ Und ich habe mich wirklich dann erst so richtig mit der Krankheit auseinandergesetzt. Ich habe dann tatsächlich viel rund um das Thema chronische Krankheiten, insbesondere über die Multiple Sklerose, gelesen, mir teilweise wirklich Fachwissen angeeignet, mir die verschiedensten Medikamente angeschaut und sogar den Beipackzettel von jedem einzelnen Medikament im Detail studiert und mich wirklich im Allgemeinen sehr, sehr intensiv mit der Krankheit beschäftigt. Ich habe mir dann auch bei mehreren Ärzten (Neurologen) Termine geben lassen, mir die jeweiligen Ansichten angehört, was diejenigen machen würden und so weiter, und habe dann wirklich mein eigenes Wissen aufgebaut, um möglichst auf Augenhöhe mit dem jeweiligen Arzt kommunizieren zu können.

Auswirkungen auf die Psyche und Methoden der Behandlung

Angy [00:20:44] Wie hat sich das seit 2012 auf deine Psyche ausgewirkt, als du dann für dich wusstest: „Jetzt habe ich MS und jetzt bin ich krank“, so wie du es gerade gesagt hast.

Dominik [00:20:56] Ja, grundsätzlich. Ich war eigentlich schon immer ein sehr positiver Mensch. Ich hatte schon immer die Ansicht, dass man aus allem das Beste machen muss. Und es gibt im Vergleich zu früher mittlerweile eine Vielzahl von Medikamenten für die MS. Die Wissenschaft ist stark daran interessiert, immer neue, innovative Methoden zu erforschen, um MS besser kontrollieren zu können und gleichzeitig zu ermöglichen, dass Betroffene ein weitestgehend unbeschwertes Leben führen.

Positiv sein: Umgang mit familiärer und professioneller Unterstützung

Angy [00:21:29] Gibt es denn jemand, der dich bei diesem Prozess oder auch mentalen Prozess unterstützt hat?

Dominik [00:21:37] Also klar, Familie und Freunde natürlich. Aber, dass ich jetzt sagen würde, dass mir das absolut wichtig war,… es war, glaube ich, eher eine Sache, die ich mit mir selbst ausmachen musste. Und bei meinen Eltern war ich bewusst nicht offen und ehrlich, weil natürlich kam die Frage: „Und Dominik, wie geht’s dir heute? Heute läufst du aber etwas schlechter.“ oder „Heute läufst du aber richtig gut.“ Mir waren solche Fragen wirklich unangenehm, obwohl sie es nicht böse meinten. Aber selbst, wenn ich schlecht gelaufen wäre, hätte ich meinen Eltern wahrscheinlich niemals gesagt: „Mir geht’s gerade überhaupt nicht gut“, weil ich gewusst habe, dass ich sie mit der Aussage verletzten würde und deswegen habe ich das eigentlich alles hauptsächlich mit mir selbst ausgemacht.

Angy [00:22:30] Das heißt, ich höre so ein bisschen raus, dass du auch deine Eltern schonen wolltest. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe?

Dominik [00:22:37] Genau.

Auch mit MS nur das Beste im Blick: Lebenseinstellung und Akzeptanz der Erkrankung

Angy [00:22:37] Okay. Und hast du denn irgendeine professionelle Hilfe in Anspruch genommen? Also zum Beispiel einen Psychologen?

Dominik [00:22:45] Also meine Eltern waren auch immer der Ansicht, ich soll doch regelmäßig zur Physio oder mal zur Reha gehen oder andere Hilfsmöglichkeiten annehmen. Und ich war immer der Ansicht: „Na ja, mir geht es doch gut, ich laufe ein bisschen komisch, aber es gibt schlimmere Fälle, die das wahrscheinlich viel nötiger hätten als ich.“ Als ich dann irgendwann meinen damaligen Job wechseln wollte, um was Neues zu machen, kam für mich selbst auch die Einsicht: „Na ja, wenn ich auf Reha möchte, dann jetzt.“ Ich bin dann auch wirklich auf die Reha gegangen und war da sechs Wochen sogar stationär und ich muss sagen, die ganzen Zweifel oder Ängste, die ich hatte, dass ich da fehl am Platz wäre oder, dass es mir nicht guttun würde, muss ich revidieren. Nach der Reha ging es mir richtig gut. Das waren so sechs Wochen Urlaub mit professioneller Behandlung auf allen Bereichen. Gefühlt ging es nur um mich, meine Beine und die MS und das tat mir persönlich wirklich gut. Und ich kann hier auch nur jedem empfehlen, dass er das Angebot einer Reha oder Physio oder anderer Hilfe, wie einfach nur mit jemandem reden, in Anspruch nehmen sollte.

Angy [00:24:12] Wie schön, dass du dann am Ende doch noch ein gutes Gefühl dabeihattest, nachdem die Reha vorbei war. Und, dass das eine gute Entscheidung für dich war. Du hast jetzt schon gesagt, dass du ein sehr positiver Mensch bist und jetzt sagst du, dass du vielleicht sogar noch positiver und noch stärker geworden bist. Gibt es da dennoch irgendwelche Methoden, Rituale oder Strategien, die du für dich entwickelt hast, die dir helfen deinen Alltag zu meistern?

Dominik [00:24:40] Ich bin recht positiv eingestellt, habe ein großes Selbstvertrauen und wenn ich wirklich mal unterwegs bin und es mir vielleicht in dem Moment nicht so gut geht, oder ich denke, der oder diejenige schaut mich jetzt an, dann mache ich mir schon Gedanken. Ich bin auch ein sehr nachdenklicher Mensch und komme dann letztlich zu dem Entschluss: „Ja, es fällt auf. Sie schaut mich an. Aber wahrscheinlich ist es ihr egal.“ Man darf sich nicht jede Kleinigkeit zu Herzen nehmen oder sich so unzählig viele Gedanken machen, weil im Endeffekt ist man einfach einer von zigtausend Menschen. Und nur weil man jetzt MS hat und nur, weil man jetzt irgendwie auffällt, in welcher Form auch immer, ist man ja nicht automatisch der Mittelpunkt des Lebens für jemand anderen und man muss einfach für sich selbst irgendwie damit klarkommen. Ich hatte nie in der Art psychologische oder irgendwelche Rituale. Mache ich eigentlich nicht.

Angy [00:25:42] Das heißt, du hast viel nachgedacht und dann selbst eine mentale Stärke entwickelt, die sich sozusagen immer weiter fortgebildet hat. Ist das so korrekt? Kann man das so sagen?

Dominik [00:25:54] Genau, so kann man es sagen. Ich bin wirklich durch die MS gewachsen.

Angy [00:25:58] Ist es so, dass seitdem du die MS wirklich für dich akzeptiert hast, dass sich auch etwas zu deiner Einstellung zu dir selbst oder zur Welt oder zu was auch immer verändert hat?

Dominik [00:26:13] Ich habe wirklich gemerkt, dass nichts selbstverständlich ist, und wirklich jederzeit irgendwas passieren kann. Sei es durch irgendeinen Schicksalsschlag oder wie durch MS, dass die Beine vielleicht nicht mehr so hundertprozentig das machen, was sie machen sollen. Und ich habe dann auch wirklich viel zu schätzen gelernt. Also irgendwelche kleinen Ausflüge, irgendwelche Urlaube, Reisen oder Ähnliches, was ja alles nach wie vor möglich ist. Nur, ich gehe da wirklich viel bewusster mit um. Und ja, ich lebe mein Leben und möchte mich durch nichts irgendwie einschränken lassen oder mir Möglichkeiten nehmen lassen, nur weil ich MS habe.

Angy [00:26:58] Mir geht es zumindest öfter so, dass ich auf Menschen treffe, die sehr viel meckern und sich sehr viel beschweren, obwohl sie total gesund sind. Und jetzt kann ich mir vorstellen, dass du solche Menschen auch manchmal triffst. Wie ist das denn dann für dich?

Dominik [00:27:12] Ja, jeder Mensch hat seine eigene Art mit Problemen umzugehen, hat Ärger mit den Kindern zu Hause oder mit der Katze, der andere hat einfach schlecht geschlafen die Nacht oder Ähnliches. Man darf jetzt auch nicht jeden Menschen, der augenscheinlich gesund wirkt, an den Pranger stellen und sagen: „Hey, mir geht es viel schlechter als dir!“ Das weiß man ja wirklich nie oder kann man nicht wirklich wahrnehmen, weil es ja auch bei der MS nicht nur sichtbare, sondern auch unsichtbare Symptome gibt, die bei mir zum Glück ausgeblieben sind. Aber ansonsten ist ja jeder einzigartig. Ich kann jetzt nicht so etwas beispielsweise zu meinem Arbeitskollegen sagen, nur weil er jeden Tag schlechte Laune hat, bevor er seinen ersten Kaffee getrunken hat oder Ähnliches. Dann lasse ich ihn halt in Ruhe und dann ist alles auch in bester Ordnung.

Sprich es aus: Feedback von Freunden und Fremden

Angy [00:28:02] Das heißt, ich höre jetzt raus, du hast nicht manchmal das Bedürfnis etwas von deinen, aus meiner Sicht wertvollen Dingen, die du ja für dich gelernt hast, zum Beispiel jeden Moment zu genießen und nichts für selbstverständlich zu nehmen, irgendwie weiterzugeben? Also einfach zu teilen?

Dominik [00:28:19] Ich bekomme oft Feedback, dass die Art, wie ich mit der MS umgehe, wirklich erstaunlich ist und die Leute das teilweise echt gut finden, weil ich eben so optimistisch an die Sache herangehe und mir nach außen überhaupt nichts anmerken lasse. Das Thema, wenn ich mich beobachtet fühle, natürlich. Aber da weiß ich im Endeffekt, dass das nur ein Gedanke von mir ist, aber eigentlich nicht wirklich so ist. Zumindest spiele ich das so. Meine Arbeitskollegen und meine Freunde finden es wirklich erstaunlich und meinen alle, sie wüssten nicht, wie sie reagieren würden, wenn es bei ihnen der Fall wäre. Und weil ich eben so offen darüber rede, sehen die das eigentlich immer sehr positiv.

Kommunikation ist das A und O

Angy [00:29:08] Und das ist ein guter Stichpunkt, offen darüber zu reden. Aus welchem Grund ist es denn deiner Meinung nach so wichtig, offen über die Erkrankung zu sprechen?

Dominik [00:29:18] Ja, ich glaube, letztendlich muss man auch nicht mit jedem offen darüber reden. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, siehe Arbeitgeber. Aber es gibt mit Sicherheit auch Arbeitgeber, die das negativ aufgefasst hätten. Mir geht es jetzt mit dem neuen Arbeitgeber, bei dem ich von Anfang an offen und ehrlich war, wirklich viel, viel besser, weil man sich sonst wirklich ein Lügengerüst aufbaut und bei jeder Frage irgendwie überlegen muss. Selbst wenn man einen netten Kollegen trifft, dem man es gerne erzählen würde, kann man es aber nicht erzählen, weil man ja immer noch „in der Lüge“ lebt. Und das ist ein Grund. Wenn mich jetzt jemand fremdes auf der Straße fragen würde: „Ey, warum läufst du so komisch?“, dann würde ich es dem auch nicht erzählen. Aber, wenn man so ein vertrautes Gefühl hat und einfach das Bedürfnis hat. Ich habe jetzt auch schon Leute kennengelernt, Personen, da hatte ich von Anfang an das Bedürfnis zu sagen: „Wenn wir uns gleich treffen, bitte hab keine Angst oder erschrick nicht!“, oder irgendwas in der Art. „Ich laufe etwas anders, aber wenn wir jetzt nicht hier zwei Stunden um den See laufen… spazieren gehen ist vielleicht auch nicht unbedingt meine Stärke, aber das wollte ich dir eben nur erzählen, dass du schon mal Bescheid weißt.“ Es wurde bisher noch nie negativ aufgefasst und ich für mich kann sagen, ich fühle mich um einiges besser, wenn ich das einfach erzählen kann, dann, wenn ich das Bedürfnis habe darüber zu reden, So kann ich viel offener mit der Person reden und muss keine Angst haben, dass diejenigen sich jetzt irgendwas zusammenreimen, nur weil sie sich nicht trauen würden zu fragen.

Angy [00:31:06] Genau diesen Aspekt gibt es ja auch. Es gibt manche Menschen, die trauen sich dann einfach nicht zu fragen.

Dominik [00:31:12] Ob aus Höflichkeit oder aus Scham oder Ähnliches.

Dominiks Tipps für nicht Betroffene

Angy [00:31:15] Und welche Tipps hast du denn noch, Dominik, für Menschen, die nicht betroffen sind oder für Angehörige, die du gerne noch mit auf den Weg geben möchtest? Es dürfen auch Wünsche sein, also wenn du dir was Bestimmtes wünscht.

Dominik [00:31:29] Es ist tatsächlich in Ordnung zu fragen. Es kommt ja keiner her und sagt: „Ey, warum läufst du so komisch?“ Das macht ja keiner. Aber natürlich wollen viele wissen, was Sache ist, denn man sieht es ja auch und dann ist es wirklich total in Ordnung zu fragen: „Du, Entschuldigung, darf ich mal was fragen? Was ist los mit dir?“ Das ist ja überhaupt nicht negativ zu sehen, sondern find ich teilweise positiv, weil ich ja auch merke, dass mein Gegenüber gerne wissen würde, was mit mir los ist. Und ich weiß ja selbst nicht so genau, wie spreche ich das Thema am besten an und ich bin dann eigentlich schon recht froh, wenn es einer macht. Es kommt immer auf die Persönlichkeit an aber, wenn wir ein vertrautes Verhältnis haben, dann kann die Frage kommen.

Dominiks Tipps für Betroffene

Angy [00:32:25] Und welche Tipps möchtest du denn abschließend anderen Betroffenen noch gerne mitgeben?

Dominik [00:32:31] Ja, auch wenn die MS am Anfang erstmal ein Schock ist und selbst wenn bleibende, sichtbare oder unsichtbare Folgen vorhanden sind, lasst euch bitte nicht von einer Krankheit so beeinflussen. Das Leben geht weiter, mit oder ohne MS. Und wie ihr das macht oder was ihr daraus macht, hat immer noch jeder von euch selber in der Hand. Und lasst euch nicht von der MS an irgendwas hindern. Ich habe für mich auch die Erfahrung gemacht, dass die MS mich an nichts hindert. Ich bin immer noch derselbe Mensch, wenn ich nicht dadurch sogar noch positiver und stärker geworden bin. Und ich hoffe, dass es bei euch genauso funktioniert und, dass ihr einfach lernt mit der MS umzugehen, zu leben und es im besten Fall einfach hinnehmen könnt und euer Leben einfach weiterleben könnt.

Angy [00:33:22] Ja, ich finde, das ist eine total schöne Botschaft zum Ende unseres Podcasts und das möchte ich auch gerne einfach so stehen lassen und sage dir ganz, ganz herzlichen Dank Dominik, dass du dir heute die Zeit genommen hast.

Dominik [00:33:37] Sehr gerne! Danke für die Einladung und danke, dass ich Teil eures Podcasts sein durfte.

Angy [00:33:41] Ja und wir hoffen, dass euch diese Folge gefallen hat und ihr einige Tipps für den Umgang mit der MS und den damit verbundenen sichtbaren Symptomen mitnehmen konntet. Wir freuen uns, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid. Vielen Dank, dass du uns zugehört hast. Du hast Anregungen, Themenvorschläge oder möchtest selbst Teil des Podcasts werden und deine Geschichte mit uns teilen? Dann schreib uns per E-Mail oder direkt auf Instagram. Im Beschreibungstext findest du alle weiteren Informationen und Adressen. Wir freuen uns auf dich.

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