Geschichte von Michael

Portrait von Michael S


Ich bin

Michael


Alter: 45
Tätigkeit: Maschinenbautechniker
Das sollten andere wissen: Eine Depression ist keine Spinnerei, sondern eine schwerwiegende Erkrankung, die tödlich enden kann. Man kann sie aber in den Griff bekommen. Niemand sollte sich für die Erkrankung schämen.
Das wünsche ich mir von meinen Mitmenschen: Mehr Toleranz und mehr Nachsicht mit Betroffenen, außerdem ein offenes Ohr und ein aufmerksames Auge, um anderen beistehen und entsprechend eher reagieren zu können.
Mein Motto: Normal gibt es schon (mit einem Augenzwinkern)

„Mein Elend begann mit der Trennung meiner Eltern, als ich 5 Jahre alt war und ein jahrelanger Kampf um das Sorgerecht entstand. Kurz vorher hatte ich mitbekommen, dass mein Vater einen Suizidversuch unternommen hatte. Ich erinnere mich an das Bild, wie ihn die Sanitäter zur Tür hinaustrugen. Meine Mutter hatte mich oft allein gelassen und war eigentlich nicht für mich da. Dennoch entschied das Familiengericht, dass ich zu meiner Mutter muss, die mit ihrem neuen Partner zusammenlebte.“

Für Michael war diese Entscheidung eine Katastrophe. Unter der Woche lebte er bei der Mutter und ihrem neuen Partner. Die Wochenenden verbrachte er bei seinem Vater. Der Alltag bei der Mutter war geprägt durch einen rauen Umgangston und körperliche Gewalt durch den neuen Partner. Immer wieder wurde Michael geschlagen, was jedoch stets heruntergespielt wurde. Obwohl es auch gelegentlich erwachsene Zeugen gab, hat niemand etwas dagegen unternommen. Durch die mangelnde Umsorgung und lieblose Behandlung entwickelte Michael in der Folge ein Deprivationssyndrom, auch Hospitalismus genannt. Er hatte gravierende Schlafstörungen, nässte ein und begann, sich durch stundenlanges, stereotypes Kopfschütteln selbst zu beruhigen.

„Obwohl ich noch ein Kind war, war mir klar, dass das kein normales Verhalten war. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, warum das niemand sehen wollte und keiner eingeschritten ist. Noch heute habe ich mit den Folgen zu kämpfen – die Depression ist eine davon.“

Demütigungen durch Beleidigungen und Bloßstellen in der Öffentlichkeit sowie körperliche Gewalt zogen sich durch Michaels gesamte Kindheit. Für ihn war das der Normalzustand. Trotz der anhaltenden ablehnenden Behandlung durch seine Mutter, die sich noch verschlimmerte, nachdem eine Halbschwester hinzukam, suchte Michael als Kind immer wieder ihre Nähe und Zuwendung, die er jedoch nicht erhielt. Um nicht zu provozieren, verhielt er sich äußerst angepasst und ruhig.

„Das Blatt wendete sich für mich erst, als ich mit 19 Jahren nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker für 12 Jahre als Soldat auf Zeit zur Bundeswehr ging. Dort fand ich zum ersten Mal ein soziales Gefüge und viel Bestätigung. Die feste Struktur gab mir Halt und tat mir gut.“

Dennoch holte Michael die Vergangenheit ein. Um sich zu beruhigen und die traumatischen Kindheitserinnerungen, die in ihm wie ein Film abliefen, zu vergessen, begann er, regelmäßig Alkohol zu trinken. Problematisch war es für ihn auch, eine Freundin zu finden. Aufgrund seiner Ablehnungserfahrungen fiel es ihm in der Regel sehr schwer, auf Menschen zuzugehen und Kontakte zu knüpfen. Am Ende der Bundeswehrzeit nahm Michael ein Studium der Sozialpädagogik auf. Während ein Dozent den Studierenden Fallbeispiele von Kindesmisshandlungen vorstellte, fiel es Michael wie Schuppen von den Augen. Er kannte das, was dort berichtet wurde, nur allzu gut. Dennoch brauchte Michael noch ein paar Jahre, bis er schließlich erkannte, dass er Hilfe brauchte.

Uhr und Schreibmaschine

„Eines Tage konnte ich nicht mehr. Ich fand gar nicht mehr zur Ruhe und war innerlich total aufgelöst. Die Gedanken kreisten unaufhörlich um die Vergangenheit. Da bin ich zum Arzt gegangen.“

Sein Arzt schrieb ihm ein Antidepressivum auf und empfahl ihm eine Psychotherapie. Michael konnte seit langem endlich wieder schlafen und begann nun mit Hilfe seines Therapeuten, die Dinge anzupacken und einzuordnen. Er probierte verschiedene Therapiemöglichkeiten aus und war zwischenzeitlich auch zur Behandlung in einer Klinik. Die Spuren sind zwar noch da, fühlen sich heute aber nicht mehr so bedrohlich an. In der Zwischenzeit absolvierte Michael, da Sozialpädagogik für ihn nicht mehr in Frage kam, ein Maschinenbaustudium und arbeitet heute als Maschinenbautechniker. Heute fühlt er sich zwar besser, dennoch arbeitet er weiter an seiner Genesung, um langfristig stabil zu bleiben. Ein Rückschlag war der Tod seines Vaters im vergangenen Jahr, der für ihn der wichtigste Ansprechpartner war.

„Heute versuche ich, mir öfter mal etwas Gutes zu gönnen. Das kann ein schönes Abendessen sein oder ein Kurztrip mit dem Motorrad oder eine Wanderung allein durch die Natur. Man muss lernen, auch mal über den Tellerrand zu schauen und sich trauen, auch mal was Neues auszuprobieren. Das gelingt mir immer besser.“

Weitere Erfahrungsberichte von Betroffenen

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Elisabeth

"Rückblickend hatte ich schon seit Jahren immer mal Phasen, in denen ich zu nichts Lust hatte und mich sehr antriebslos fühlte. Richtig zum Ausbruch kam die Depression jedoch erst nach der Geburt meines Sohnes."​

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Felix

"Ich habe schon recht früh gemerkt, dass ich anders bin. Als ich 2015 offiziell meine Diagnose bekommen habe, war das für mich nicht überraschend. Im Nachhinein wurde für mich vieles schlüssig und klar."

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Janine

„Im Teenageralter hatte ich oft Phasen, in denen es mir schlecht ging. Ich habe das aber selbst nie ernst genommen. Auch mein Umfeld – meine Eltern oder meine Freunde – haben nicht hinterfragt, warum ich oft so „schlecht drauf war“. Aber ich hatte natürlich selbst keine Ahnung, was mit mir los war.“

Referenzen

www.amsel.de/amsel-ev/presse/pressemeldungen/irrtum-ms-sieht-man/ 18.11.2020
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