Erbliche Netzhauterkrankungen sind eine Gruppe seltener Augenkrankheiten, die das Sehvermögen schwer beeinträchtigen oder zum Sehverlust führen können. Diese Erkrankungen werden auch als erbliche Netzhautdegenerationen oder -dystrophien bezeichnet. Erbliche Netzhauterkrankungen können auftreten, wenn eines oder mehrere deiner Gene nicht wie vorgesehen funktionieren.
Weltweite Schätzungen gehen davon aus, dass circa 1 von 2.000 Menschen von einer erblichen Netzhauterkrankung betroffen ist.
Gene werden auch als „Bauplan des Lebens“ bezeichnet und sind in fast jeder Körperzelle in der DNA enthalten, auch bekannt als DNS oder Desoxyribonukleinsäure. Die Gene beinhalten Informationen über dein Aussehen und alles, was dich einzigartig macht. Als Bauplan des Körpers bestimmen sie, wie Körperteile sich entwickeln und funktionieren sollen.
Eine „Genvariante“ ist eine Veränderung eines oder mehrerer DNA-Abschnitte, also der Reihenfolge der DNA-Bausteine, aus denen die Gene bestehen. Eine Veränderung bedeutet, dass Teile zu einem DNA-Abschnitt hinzugefügt wurden, darin fehlen oder ersetzt wurden.
Die Humangenetikerin Elena erklärt in diesem animierten Video den Begriff Gene, inwiefern Genvarianten unser Sehvermögen beeinflussen können und wie erbliche Netzhauterkrankungen entstehen.
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Hallo, ich bin Elena, Humangenetikerin und spezialisiert auf genetische Beratung. Ich möchte Ihnen helfen, Antworten zu finden. Sie fragen sich vielleicht: „Wie kommt es zu erblichen Netzhauterkrankungen?“ Um diese Frage zu beantworten, sollten wir unsere Gene genauer unter die Lupe nehmen. Gene werden oft als „Bauplan des Lebens“ bezeichnet. Als Bauplan teilen die Gene allen Teilen des Körpers mit – auch den Augen –, wie sie sich entwickeln und funktionieren sollen. Der Mensch hat etwa 25.000 Gene. Gene sind in fast jeder Körperzelle in kleinen fadenförmigen Strukturen enthalten – den Chromosomen. Wir verfügen über 23 Chromosomenpaare. Für jedes Paar erben wir ein Chromosom von unserer Mutter und eines von unserem Vater. In jedem einzelnen Chromosom befinden sich Stränge von Desoxyribonukleinsäure, die als DNS bezeichnet wird (oder auf Englisch: deoxyribonucleic acid, kurz DNA). Wenn die Gene der „Bauplan des Lebens“ sind, kann man sich die DNA als die Anweisung vorstellen, die vorgibt, wie dieser Bauplan auszusehen und zu funktionieren hat. Sie enthält genaue Angaben über unsere Größe, unsere Haarfarbe und die vielen anderen Eigenschaften, die uns einzigartig machen. Jeder DNA-Abschnitt besteht aus Tausenden von Bausteinen, die mit den Buchstaben A, C, G und T* abgekürzt werden. Diese sind in langen Strängen aneinandergereiht. Die Abfolge dieser Buchstaben gibt unserem Körper bestimmte Anweisungen. Weist die vererbte DNA-Sequenz eine geringfügige Veränderung auf, das heißt, ein Buchstabe fehlt beziehungsweise wird durch einen anderen ersetzt oder Buchstaben werden hinzugefügt, haben wir eine Genvariante unserer Eltern geerbt. Diese kann an folgende Generationen weitergegeben werden.
Die meisten Genvarianten haben keine Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Dennoch können Genvarianten sich negativ auf bestimmte Funktionen des Körpers auswirken, zum Beispiel die Sehkraft, wie es bei erblichen Netzhauterkrankungen der Fall ist. Eine erbliche Netzhauterkrankung kann das Sehvermögen beeinträchtigen oder zum Sehverlust führen. Ein Gentest stellt die einzige Untersuchungsmethode dar, um die genetische Ursache für die Sehschwäche oder den Sehverlust genau zu bestimmen. Da die Gendiagnostik sich weiterentwickelt hat, ist es möglich, die genetische Ursache erblicher Netzhauterkrankungen bei vielen Menschen besser aufzuklären. In den vergangenen zehn Jahren wurden circa 100 neue Gene im Zusammenhang mit erblichen Netzhauterkrankungen entdeckt. Damit sind diesbezüglich insgesamt über 270 Gene identifiziert worden. Und die Wissenschaft schreitet weiter voran.
Haben Sie sich noch nie einem Gentest unterzogen oder hat ein früherer Test ein negatives oder nicht eindeutiges Ergebnis geliefert? Falls ja, dann sollten Sie mit Ihrer Augenärztin oder Ihrem Augenarzt über die Überweisung zu einer Humangenetikerin oder einem Humangenetiker sprechen, damit ein Gentest durchgeführt beziehungsweise wiederholt wird. In meinem nächsten Video hier auf www.gene-im-fokus.de erfahren Sie mehr darüber, wie Netzhauterkrankungen vererbt werden können.
* A, C, G und T stehen für die einzelnen Bausteine, die Aminosäuren Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin.
Im Inneren deines Auges befindet sich eine wichtige, lichtempfindliche Struktur, die sogenannte Netzhaut. Sie enthält Millionen von spezialisierten Zellen – die Stäbchen und Zapfen. Die Stäbchen sind für das Nachtsehen und das periphere Sehen zuständig, also die Wahrnehmung von Bereichen des Gesichtsfelds, auf die wir nicht den Blick fokussieren. Die Zapfen sind hingegen für das Farbsehen, das Sehen bei Tageslicht und das zentrale Sehen verantwortlich. Letztere sind am häufigsten in der Makula zu finden, einem Bereich im Auge mit einer hohen Dichte an Zapfen.
Die Stäbchen und Zapfen arbeiten innerhalb der Netzhaut deines Auges zusammen, um visuelle Informationen zu sammeln. Sie übermitteln diese Nachrichten über den Sehnerv an das Gehirn. Dieser Prozess ermöglicht uns, das Leben in all seiner Fülle zu sehen – in Farben, Schwarz und Weiß sowie allen Grautönen.
Funktionieren die Stäbchen und/oder Zapfen in deinen Augen nicht ordnungsgemäß, kann dies dein Sehvermögen beeinträchtigen.
Die Humangenetikerin Elena zeigt in diesem animierten Video drei Wege, wie erbliche Netzhauterkrankungen vererbt werden können.
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Hallo, ich bin Elena. Als Humangenetikerin werde ich oft gefragt, wie Veränderungen in unseren Genen, sogenannte Genvarianten, vererbt werden. Damit wir ein Verständnis für erbliche Netzhauterkrankungen bekommen, müssen wir uns zuerst damit beschäftigen, was Vererbung und Genetik eigentlich bedeuten. Heute bespreche ich drei verschiedene Möglichkeiten, wie Netzhauterkrankungen von den Eltern vererbt werden können. Die erste Möglichkeit ist der autosomal-dominante Erbgang. Vielleicht erinnern Sie sich aus dem Video „Einmaleins der Genetik“, dass unsere Gene in unseren Chromosomen enthalten sind. Wir verfügen über 23 Chromosomenpaare. Jedes Paar besteht aus einem Chromosom von der Mutter und einem Chromosom vom Vater. Um besser zu verstehen, wie dieses Vererbungsmuster funktioniert, kann man sich zwei Schmetterlinge vorstellen – ein Schmetterling stellt die Mutter dar und der andere den Vater. In diesem Fall ist der Schmetterling mit der Genvariante mit einem zusätzlichen Punkt markiert. Dieser Punkt steht für eine erbliche Netzhauterkrankung beim Menschen. Bei einem autosomal-dominantem Erbgang muss das Kind nur eine einzige Genvariante erben, um von der Krankheit betroffen zu sein. Weist also ein Elternteil die Genvariante auf, so besteht eine 50-prozentige Chance, dass das Kind die Netzhauterkrankung erbt. Dies wird durch den hinzugefügten Punkt dargestellt.
Als Nächstes besprechen wir den autosomal-rezessiven Erbgang. Selbst wenn unsere Eltern nicht von einer vererbten Netzhauterkrankung betroffen sind, können sie dennoch „Träger:in“ einer solchen sein. Ein Träger:in zeigt meistens keine Symptome, trägt aber die Genvariante in sich. In seltenen Fällen können auch beim Träger:in Symptome auftreten. In beiden Fällen können die Träger:innen die Genvariante an ihre Kinder weitergeben. Im Gegensatz zum autosomal-dominanten Erbgang muss das Kind jedoch zwei Kopien der Genvariante erben, also eine Kopie von der Mutter und eine vom Vater, um von der Krankheit betroffen zu sein. Das bedeutet: Wenn beide Eltern Träger sind, ohne selbst erkrankt zu sein, besteht ein 25-prozentiges Risiko, dass das Kind beide Kopien der Genvariante in sich trägt und deshalb von der Netzhauterkrankung betroffen ist. Die Chance, dass das Kind nur eine Kopie erbt und deshalb nur Träger ist, beträgt 50 Prozent.
Betrachten wir nun den X-chromosomal-rezessiven Erbgang. Bei X-chromosomal bedingten Erkrankungen müssen wir die Chromosomen beider Elternteile genauer untersuchen. Bei diesem Vererbungsmuster werden Genvarianten über das X-Chromosom weitergegeben, während das Y-Chromosom kaum Erbinformationen trägt. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom. Wenn also eine Frau ein X-Chromosom mit einem Gendefekt erbt, hat sie noch ein zweites, gesundes X-Chromosom, das als Ersatz dienen und ordnungsgemäß funktionieren kann. Männer erben jedoch nur ein X-Chromosom. Weist dieses Chromosom eine Veränderung auf, so fehlt ein zweites, gesundes X-Chromosom, das diese Veränderung ausgleichen könnte. Daher haben Männer ein höheres Risiko, von einer X-chromosomal-rezessiven Erberkrankung betroffen zu sein. Ist die Mutter Trägerin und der Vater nicht von der Krankheit betroffen, besteht bei einem gemeinsamen Sohn ein 50-prozentiges Risiko, dass bei ihm die Krankheit auftritt: Entweder erhält er von seiner Mutter das gesunde oder das veränderte X-Chromosom. Bei einer gemeinsamen Tochter besteht dagegen eine 50-prozentige Chance, dass sie lediglich Trägerin der Genvariante ist. Die Krankheit wird aber nicht ausbrechen, weil ihr das zweite, gesunde X-Chromosom als Ersatz dient. Die Auswirkungen sind also unterschiedlich, je nachdem, welcher Elternteil die Genvariante trägt. Dessen sollte man sich bewusst sein.
Außerdem gilt es, die verschiedenen Vererbungsmuster zu verstehen – so lässt sich auch die Weitergabe innerhalb von Familien besser nachvollziehen. Dabei ist zu bedenken, dass die Familienanamnese nur einen Teil des Diagnose-Puzzles darstellt. Gene, die Netzhauterkrankungen verursachen, können auch dann vererbt werden, wenn in der Familie keine solchen Erkrankungen bekannt sind. Zusammen mit geeigneten Augenuntersuchungen kann ein Gentest Antworten liefern. Weitere hilfreiche Informationen zum Thema finden Sie auf www.gene-im-fokus.de.
Circa 50 % der Menschen, die an der erblichen Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa (RP) oder Retinopathia pigmentosa erkrankt sind, haben keinerlei Kenntnisse über ihre Familienanamnese.
Sofern in deiner Familienanamnese keine bekannten Fälle vorliegen, jedoch der Verdacht auf eine erbliche Netzhauterkrankung besteht, ist es wichtig, deine Augenärztin oder deinen Augenarzt nach einem Gentest oder dessen Wiederholung zu fragen.
Dies ist sinnvoll, wenn der ursprüngliche Test bereits einige Jahre zurückliegt, da in der Zwischenzeit viele weitere Gene für diese Erkrankungen identifiziert wurden. Einige Fachleute raten dazu, einen Test durchaus schon nach zwei Jahren zu wiederholen, wenn er zuvor nicht aussagekräftig war. Darüber hinaus haben sich die Möglichkeiten für Gentests in den letzten Jahren dank neuer Technologien stark erweitert.
Du möchtest deine Ärztin oder deinen Arzt auf einen Gentest oder dessen Wiederholung ansprechen? Hier findest du hilfreiche Checklisten, die alle wichtigen Punkte für dein Gespräch beinhalten.
Sich überschneidende Symptome können die Diagnose von erblichen Netzhauterkrankungen erschweren. Daher sind Gentests zum Maßstab geworden, wenn es darum geht, eine genetische Ursache für deine Sehschwäche oder -beeinträchtigung zu ermitteln.18
Jede erbliche Netzhauterkrankung ist anders und kann eines oder mehrere dieser
gemeinsamen Symptome aufweisen:19202122
Lichtempfindlichkeit (Photosensitivität)
Blinde Flecken
Unkontrollierte Augenbewegungen (Nystagmus)
Verlust des zentralen und peripheren Sehens/Tunnelblick
Weitsichtigkeit (Hyperopie)
Farbblindheit (Achromatopsie)
Es gibt viele Arten von erblichen Netzhauterkrankungen, wie zum Beispiel:
Bis zu ein von 6.000 Menschen ist am USH erkrankt.27
Es gibt drei Typen des Usher-Syndroms (USH1, USH2, USH3).2728
Als Ursache für das Usher-Syndrom sind Varianten in neun Genen bekannt.2728
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:2728
Symptome von Hörverlust treten bei USH1 und USH2 in der Regel schon bei der Geburt auf, bei USH3 hingegen erst in der späten Kindheit oder im Jugendalter. Sehstörungen treten bei USH1 in der Kindheit und bei USH2 und USH3 in der Regel im Jugendalter auf.2728
Unterscheidung zwischen Beginn in der Kindheit, im frühen Erwachsenenalter und im späten Erwachsenenalter, wobei das Durchschnittsalter beim Auftreten der Symptome dann bei ca. 55 Jahren liegt222930
Bis zu ein von 8.000 Menschen ist an Morbus Stargardt erkrankt.29
Als Ursache für Morbus Stargardt sind Varianten in zwei Genen bekannt.29
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:222930
Verlust des zentralen Sehens im Laufe der Zeit
Nachtblindheit
Farbblindheit
Symptome und Verlauf sehr unterschiedlich
Die Symptome beginnen meist in der Kindheit und verschlimmern sich im Laufe der Zeit.31
Bis zu ein von 30.000 Menschen ist an CRD erkrankt.31
Als Ursache für die Zapfen-Stäbchen-Dystrophie sind Varianten in mehr als 30 Genen bekannt.31
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:31
verminderte Sehschärfe
Lichtempfindlichkeit
Probleme beim Erkennen von Farben
blinde Flecken
Verlust des peripheren Sehens im Laufe der Zeit
Erblindung im mittleren Erwachsenenalter
Die Symptome treten in der Regel im Säuglingsalter auf.21
Bis zu ein von 33.000 Menschen ist an LCA erkrankt.21
Als Ursache für die Leber’sche kongenitale Amaurose sind Varianten in mindestens 14 Genen bekannt.21
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:21
Nachtblindheit
Sehverlust im Säuglingsalter
erhöhte Lichtempfindlichkeit
unwillkürliche Augenbewegungen
extreme Weitsichtigkeit
anormale Reaktion der Pupillen auf Licht
Bis zu ein von 50.000 Menschen ist an CHM erkrankt.33
Es sind mehr Männer als Frauen von einer CHM betroffen.33
Varianten im CHM-Gen verursachen eine Choroideremie.33
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:33
Nachtblindheit in der frühen Kindheit
fortschreitender Verlust des peripheren Sehens
sich verschlechterndes Detailsehen
Erblindung, meist im späten Erwachsenenalter
Eine systemische Erkrankung, die auch andere Organe betrifft.34
Die Symptome beginnen im frühen bis mittleren Kindesalter.3435
Bis zu ein von 140.000 Menschen ist am BBS erkrankt.3435
Obwohl das BBS eine der seltensten Erbkrankheiten ist, kann es in einigen Regionen vermehrt vorkommen.34
Als Ursache für das Bardet-Biedl-Syndrom sind Varianten in mindestens 16 Genen bekannt.3435
Mögliche Symptome sind zum Beispiel:3435
Verlust des Nachtsehens
blinde Flecken, die zum Verlust des peripheren Sehens führen
verschwommenes zentrales Sehen
Probleme mit Nieren und Augen
Gewichtszunahme
von Geburt an zusätzliche Finger oder Zehen
Lernschwierigkeiten
Verzögerungen in der Entwicklung